Welche Auswirkungen haben die Kontaktbeschränkungen der letzten Monate auf den B2B-Vertrieb. Zu diesem Thema veranstaltete der Arbeitskreis „Technischer Vertrieb“ im VDI Dresdner Bezirksverein e. V. am 28. Januar 2021 eine virtuelle Podiumsdiskussion. 160 Teilnehmer erlebten unter der Moderation des Arbeitskreisleiters Sven Jänchen einen spannenden Austausch zum Thema „Kontaktfreier Vertrieb – Konsequenzen 2021“.
Die Diskutanten Caroline Krauß (Director Sales Midmarket & Large Accounts – „T-Systems MMS“), Michael Sturhan (Vertriebsoptimierer im Mittelstand bei „Primesales“) und Axel Schumann (Vertriebsleiter, Prokurist der envia TEL GmbH), haben langjährige Erfahrung im Vertrieb gesammelt.
Die zentrale Frage der Diskussion war, welche Konsequenzen ein durch die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie verursachter „kontaktfreier Vertrieb“ für vertriebliche Strukturen und Prozesse im B2B hat und künftig haben wird. Dieser Frage näherten sich die Diskutanten über drei Themenbereiche:
- Nutzung von Social Selling und sozialen Netzwerken,
- Zusammenarbeit von Vertrieb und Marketing und
- Konsequenzen für die Vertriebsorganisation.
Die Zuschauer nahmen durch die Beteiligung an Umfragen und das Stellen von Nachfragen aktiv Einfluss auf die Veranstaltung.
Social Selling: Ein Ersatz für Networking Events?
Die erste Umfrage lautete „Social Selling statt Networking-Veranstaltungen? Wie gehen Ihre Mitarbeiter bzw. wie gehen Sie damit um?“ Die Teilnehmer konnten sich für jeweils eine der folgenden Antwortmöglichkeiten entscheiden:
- „Das führt im komplexen B2B-Vertrieb zu nichts.“
- „Da sollte man dabei sein. Zwingen kann man niemanden.“
- „Total notwendig um neue Ansprechpartner kennen zu lernen.“
- „Das ist nur ein Hype. Und es nervt auch ziemlich.“
Die Auswertung zeigte, dass die Teilnehmer der Nutzung von sozialen Netzwerken im Vertrieb besonders in der Neukundenakquise offen gegenüberstehen.
Aufbauend darauf stellten die Diskutanten fest, dass Social Media als Kontaktpunkt mit dem Kunden und als Orientierungshilfe am Anfang der Buyer‘s-Journey durchaus sinnvoll ist, weitergehende Erwartungen im B2B dagegen vermutlich zu optimistisch sind.
Bereitschaft der Mitarbeiter erfolgskritisch in Social Networks
Es gibt Unterschiede in puncto Affinität zwischen Mitarbeitern, wenn es um die Nutzung von sozialen Medien geht. Es ist nicht erfolgreich, weniger affine Mitarbeiter zur Nutzung anzuhalten. Wenn man seinen Mitarbeitern zeigen kann, was man mit sozialen Netzwerken für das Unternehmen und persönlich erreichbar ist, überzeugt man sie von der Mitwirkung am leichtesten. Denn eins ist klar: Präsenz auf Social-Media-Plattformen ist wichtig für Unternehmen, um sich ein Netzwerk aufzubauen bzw. dieses weiter zu entwickeln.
Social-Media-Kampagnen gezielt planen
Unternehmen sollten in der Nutzung dieser Medien clever und überlegt vorgehen, stellten die Diskutanten am Beispiel der Plattform LinkedIn fest. Die Aktivitäten in LinkedIn sind dann erfolgreich, wenn man für den User interessanten, hochwertigen und polarisierenden Content postet, um einen potenziellen Kunden, der sich über ein bestimmtes Problem Gedanken macht, mit beispielsweise Lösungen oder Sales-Stories abzuholen. Von Bedeutung ist dabei die Interaktion mit die Interaktion. Alle Podiumsteilnehmer waren sich darüber einig, dass der Kunde die zu nutzenden Kommunikationskanäle mit seinem Mediennutzungsverhalten während der Informationssuche bestimmt. Ein Mix aus unterschiedlichen Kanälen wie der Website, Social Media und z.B einem Chat ist dabei wichtig. Beim Zusammenspiel verschiedener Kanäle gilt es unbedingt, Silos zu vermeiden.
Marketing und Vertrieb: Pflicht zu Zusammenarbeit
Das Ergebnis der zweiten Umfrage „Bei der Vermarktung arbeiten Marketing und Vertrieb daran, neue Interessenten zu finden und zum Vertragsabschluss zu führen. Wie arbeiten dabei die Abteilungen zusammen?“ ließ ableiten, dass die Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb in den meisten Unternehmen der Zuschauer schon gut organisiert ist.
Folgende Antwortoptionen standen den Zuschauern diesmal zur Auswahl (Mehrfachnennungen möglich):
- „Marketing ist für Marke, Kundenumfragen und Website verantwortlich. Neue Interessenten bekommen wir von dort nicht.“
- „Technischer Vertrieb überfordert Marketing. Die Kollegen haben zu wenig Fachkenntnis und mit Messe-Orga, Prospektmaterial und Firmenbroschüre genug zu tun.“
- „Vom Marketing generierte Anfragen sind oft zu unspezifisch. Wir reihen die eher hinten ein.“
- „Zwischen Marketing und Vertrieb gibt es eine klare Absprache, wie viele Interessenten welcher Qualität im Monat/Jahr geliefert werden.“
- „Bei uns gehören beide Abteilungen zu einem Bereich, werden zentral verantwortet und arbeiten Hand in Hand.“
Vorsicht vor neuen Informationssilos
Trotzdem findet man noch Silos in zu vielen Unternehmen, die deren Vermarktungserfolg behindern. Ein „kontaktfreier Vertrieb“ führt zu vermehrter digitaler Ansprache und verlagert so viele Aufgaben vom Vertrieb ins Marketing. Darin waren sich die Diskutanten einig. Informations-Silos z.B. durch viele verschiedene Tools sind unbedingt zu vermeiden.
In vielen Unternehmen kommt es zu einer besonders engen Zusammenarbeit der beiden Abteilungen, wenn das Marketing qualifizierte Kontaktpunkte mit dem Kunden erzeugt und der Vertrieb darauf Feedback gibt. Marketing und Vertrieb müssen sich spätestens dann abstimmen, wenn geklärt werden soll, wer die Verantwortung für die Bearbeitung eines bestimmten Leads trägt. Die Festlegung einer gemeinsamen Definition hat sich hier bewährt. Daneben sollte sich die Bereiche auch darüber einigen, in welcher Geschwindigkeit die weitere Bearbeitung zu erfolgen hat.
Außerdem stellten sich die Protagonisten die Frage der Gender-Verteilung: Gibt es mittlerweile mehr Frauen im Vertrieb und mehr Männer im Marketing? Die Vermischung findet in der Realität – langsam – statt.
Änderung der Vertriebsorganisation dauerhaft in Sicht?
Die Frage, wer sich ab wann um Leads kümmert, beantwortete Herr Schumann für die envia TEL GmbH. Hier ist der Vertrieb genau ab dann zuständig, wenn der Kontakt eine Anfrage schickt. Dieses Verfahren kam nach einer gemeinschaftlichen Entscheidung von Marketing und Vertrieb zustande. Wichtig ist dabei für den B2B-Vertrieb, dass die Qualität eines Leads „vernünftig“ ist, was wiederum Abstimmung mit dem Marketing bedarf, so die Diskutanten.
Kein „New Normal“ erwartet
Die größte Einigkeit zwischen den Protagonisten herrschte bei der Frage, ob es nach Corona zu einer Rückkehr zu alten Strukturen und Prozessen kommt: Der persönliche Kundenkontakt wird im B2B-Bereich nach wie vor das wichtigste sein, denn dieser ist nicht ersetzbar. Sie waren sich jedoch sicher, dass positives Erleben neuer Arbeitsweisen zu deren Persistenz beiträgt. So werden Videocalls und Video-Präsentationen für Interessenten in frühen Kaufphasen sicher weitergeführt werden, da sie einfach mit geringerem Aufwand für beide Seiten verbunden sind. Digitale Möglichkeiten werden also voraussichtlich stärker genutzt, als in der Zeit vor Corona.
Regionale Nähe zum Kunden bleibt wichtig
Die Schlussfrage in diesem Themenkomplex war, ob mit der Verfügbarkeit und Akzeptanz digitaler Tools eine regionale Vertriebsorganisation noch zeitgemäß ist. Durch die hohe Komplexität von erklärungsbedürftigen Produkten und Leistungen steigt die Notwendigkeit vertrauensvoller Beziehungen. Diese lassen sich vor allem durch direkten Kontakt aufbauen, weshalb persönliche Besuche nötig sind. Damit wird die Frage der effizienten Abdeckung der Fläche weiterhin den Flächenvertrieb notwendig. Trotzdem werden Unternehmen digitale Standards haben und deshalb möglicherweise weniger Außendienstmitarbeiter benötigen, mutmaßten die Diskutanten.
Vertrieb wird virtueller und digitaler – nicht „kontaktfrei“
Eine so spannende, digitale Podiumsdiskussion mit einer großen Teilnehmerzahl ist Zeugnis genug, dass sich immer mehr Unternehmen Gedanken über digitale Strukturen machen. Sie sind immer mehr in der Lage, in der Kommunikation mit Interessenten moderne Tools einzusetzen. „Kontaktfreier Vertrieb“ existiert nicht wirklich. Kontakte bleiben essenziell – auch wenn sie gegenwärtig oft virtuell geknüpft und digital unterstützt werden. Wenn die Pandemie etwas Gutes hatte, dann vielleicht den Zugewinn an digitaler Kompetenz bei vielen Unternehmen.